Montag, September 11, 2006

Die Qual der Werte-Wahl

Guten Abend.

Nachdem ich mich beim letzten Mal mit dem Rollenspiel als Anhängsel von phantastischen Welten beschäftigt habe, geht es heute um eine noch gravierendere Entartung: Das Charakterbeschreibungsspiel.

Während man einem gut gemachten Hintergrund ja künstlerische Anerkennung zollen kann (und sollte, denn so häufig sind die nicht) werden beim Charakterbeschreibungsspiel stupide Regeln in den Mittelpunkt gestellt, die eigentlich gar nicht zum eigentlichen Spiel, sondern zur Spielvorbereitung gehören. Ihr habt's ja längst erraten, ich meine die Charaktererschaffung.

Also wie stellt sich diese Entartungsform für mich da? Es handelt sich um Spiele bei denen zu erst - meist ohne Sinn und Verstand - die Charaktererschaffung fertig gestellt wird und dann der ganze Rest darum herumgebaut. Häufig werden als Argumente für Güte der CharGen dann etwa Realismus oder Symmetrie genannt. Ersteres ist aber bekannter Maßen nicht zu gewährleisten und letzteres sollte höchstens eine schöne Dreingabe sein.

Wenn nun also die Char-Erschaffung steht, wird versucht die verschiedenen Teile irgendwie ins Spiel einzufügen, was häufig zu Problemen mit dem Balancing führt. Oder aber es werden Dinge mit Zahlen versehen, die im Spiel einfach überhaupt keinen Einfluss haben.

Mein dringender Ratschlag lautet also:
  1. Alle Zahlen, die während der Spielvorbereitung festgelegt werden, müssen auch im Spiel vorkommen.
  2. Alle diese Zahlen dürfen überhaupt nur gewählt werden, weil sie im Spiel dringend gebraucht werden.
Warum sollte jemand überhaupt so einen Unfug machen, wie oben beschrieben. Die Idee ist wohl, dass Charakterwerte dazu dienen einen Charakter zu beschreiben. Das ist schon richtig. Die allerwichtigste Aufgabe ist jedoch Variablen für die Prozesse im Spiel zu liefern, wobei diese Prozesse am Anfang der Betrachtung stehen müssen.

Nehmen wir mal an, wir kennten diese Prozesse schon. Wie kann man dann auf Werte kommen?

1:1
Wenn es verschiedene Arten von Prozessen gibt, wird für jeden eine Eigenschaft gemacht. Die Charaktere sollen Monster schnetzeln, Schätze finden und attraktive Schankmägde abschleppen? Na, dann machen wir einen Wert für jedes davon. (Man verzeihe mir dieses pubertäre Beispiel.)

45° verdreht
Oder wir machen einen Wert "Dungeonkunde", der zum Schnetzeln und Finden gut ist, einen Wert "Männlichkeit" fürs Schnetzeln und die holde Weiblichkeit und einen Wert "Witz", um Schätze zu finden und Frauen zu bequatschen. Für jeden Teil werden dann die passenden Werte zusammen benutzt. Dieses Verfahren wurde zuerst von Vincent Baker für Dogs in the Vineyard benutzt.

Soweit zu den übersichtlichen Varianten. Jetzt wirds kriminell.

Mehrstufige Modelle
Besonders bekannt als Attribut-Fertigkeit-Modell. Hier gibts also breiter gefasste Werte und enger gefasste. Nehmen wir mal an, dass es eine gewisse, übersichtliche Anzahl von Fertigkeiten gibt, die sinnvoll gewählt sind. D.h. für jeden häufig auftretenden Prozess gibt es eine Fertigkeit. Nun ist jede Eigenschaft einem Attribut zugeordnet.

Dann ist die erste Frage: Wozu brauch ich eigentlich die Attribute? Die Fertigkeiten geben doch schon alleine an, wie gut ein Charakter in jedem Prozess ist. Man kann die Attribute jetzt zwar als Schmankerl dazugeben, aber eigentlich sind sie überflüssig.

Man kann natürlich bei beiden Ebenen gleichviele Eigenschaften zu nehmen und die eine Ebene 1:1 und die andere verdreht zuzordnen. Und dann gibts natürlich immer noch das liebe Trait Pattern, sich hier eigentlich super eignet.

Gleicher Satz für mehrere Regelkerne
Kurz eingeworfen, was ich mit Regelkern meine: Ein Regelkern ist ein Satz von Regeln, der in einem bestimmten Abschnitt des Spiels für das Spielgefühl maßgeblich ist. Die meisten Spiele benutzen zwei Regelkerne:
  • Freies Spiel, wo die Spieler ihren Charakter ausspielen, der Spielleiter praktisch alles andere macht, ab und zu würfeln lässt und dann die Ergebnisse interpetiert.
  • Kampf, wo das Spiel plötzlich in einen Rundenmodus schwappt, auf einmal permanent gewürfelt wird und überhaupt alles ganz genau geregelt ist.
Problematisch wird es, wenn mit den gleichen Punkten bezahlte Eigenschaften in verschiedenen Kernen benutzt werden sollen. (Der Grund warum in vielen Spielen Minmaxing etwa sozialen Eigenschaften betrieben wird.)

Wenn man also tatsächlich Eigenschaften aus der gleichen Klasse in verschiedenen Kernen nutzen möchte, bleibt eigentlich nur die Variante jedes Element der Klasse für beide Kerne zu verwenden. 7te See macht das so mit seinen Attributen, auch wenn es sonst ein ganz böses Charakterbeschreibungsspiel ist.

Ob und wie man überhaupt mehrere Kerne verwenden sollte, ist allerdings noch ein Thema für sich.


Was tut man, wenn man die Prozesse noch nicht weiß? Es klang schon an. Man betrachte ganz genau die Core Story und leite alles weitere davon ab. Wenn es keine klare Core Story gibt, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit das Trait Pattern zu benutzen.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich hätte da eine Frage zur 45°-Methode...

Ich bin jetzt schon einige Male darüber gestolpert (z.B. der Bladework-Skill in TSoY, der Teilelemente von Scrapping und Handwerksfähigkeiten in sich vereint) und finde diese Methode als solche interessant, weiß aber nicht so recht welches Ziel damit verfolgt wird und was das im Vergleich zur 1:1-Methode erreicht.

Klar, ein Punkt ist dass Spieler dazu angehalten werden auch in anderen Bereichen kompetent zu werden, wenn sie in einem einzelnen Bereich richtig gut sein wollen. (Wer bei deinem Beispiel etwa ein guter Schnetzler sein will braucht sowohl "Dungeonkunde" als auch "Männlichkeit", womit er gleichzeitig zum passablen Schatzsucher und Schürzenjäger wird).
Gibt es noch andere Motive und Effekte hinter dieser Methode?

Stefan / 1of3 hat gesagt…

Schlicht und ergreifend: Nein.

Anonym hat gesagt…

Attribute dienen doch normalerweise dem gleiche Zweck wie die 45°-Drehung und sind damit eigentlich gar nicht mal so doof.

Dom

Stefan / 1of3 hat gesagt…

Welche Attribute? So diese verdächtigen, die irgendwie jedes Rollenspiel meint haben zu müssen?

Der Unterschied ist, erst einen Plan zu haben und ihn dann in überlegter Weise zu verschleiern und nicht umgekehrt.

Anonym hat gesagt…

Tja, was die Leute an Symetrie gefressen haben... *hust*AERA*hust*

Was genau war doch gleich die Core Story?

Stefan / 1of3 hat gesagt…

Wurde mir nie vermittelt. Ich bin nicht verantwortlich und damit nichts mehr zu tun.