Freitag, Juni 23, 2006

Alles was Wert ist.

Moin.

Wie versprochen möchte ich hier typische Arten von Werten und ihre Vor- und Nachteile erläutern. Wie schon erklärt, gehören einige Werte zu Entitäten im Vorstellungsraum und einige sind frei. Mir sind dafür auch schon die Bezeichnungen "character-owned" und "player-owned" untergekommen, wobei Charaktere ja nur ein Spezialfall von vorgestellten Entitäten sind. (Bei den meisten Spielen haben ja z.B. Waffen auch Werte.)

Die folgende Einteilung ist im Großen und Ganzen identisch mit John Kirks "Design Patterns in RPGs" (siehe Seitenzeile). Danach kommen noch meine Vorschläge, wie man sich seine Werte zu wählen hat.

Attribute
Von seinen Vorfahren, den Table Tops, hat das Rollenspiel Attribute übernommen. Attribute sind bestimmte, skalierte Variablen, die alle Entitäten einer bestimmten Gruppe auf irgendeinem Wert haben müssen. Bei Table Tops sind das vorwiegend Kampfwerte. Rollenspiele sind da schon flexibler.

Grundsätzlich ist es nicht sachdienlich sich bei der Betrachtung der W-Ebene darüber Gedanken zu machen, wie Variablen zu heißen haben. Der Waffenschaden erfüllt z.B. die hier gegebene Attributsdefinition, obwohl er normaler Weise nicht Attribut genannt wird. Auch muss man Attribute im Vorstellungsraum ebenfalls nicht beobachten können. So erfüllt bei Primetime Adventures der Story Arc (das abstrakte Maß für die Wichtigkeit eines Protagonisten in einer gegebenen Folge) genau das, was Attribute tun sollen, aber kein Bewohner des Vorstellungraum kann diesen Wert wahrnehmen.

Nutzen: Sie schaffen vornehmlich Vergleichbarkeit. Attribute sind Eigenschaften mit denen man für zwei passende Entitäten genau sagen kann, welche hinsichtlich einer Eigenschaft besser ist. Darüber hinaus können Attribute auch taktisches Spiel fördern.


Gaben
Gaben beschreiben ebenfalls Entitäten einer bestimmten Art, aber nicht jede Entität muss auch alle Fertigkeiten ihrer Gruppe haben. Ander als Traits werden Gaben aus einer bestimmten Liste gewählt. Gaben können eine numerische Skala haben (und werden dann häufig auch als Fertigkeiten bezeichnet) oder auch nicht.

Nutzen: Ähnlich wie Attribute können auch Gaben Vergleichbarkeit schaffen und Taktik. Bei ihnen ist allerdings der häufig Faktor der Taktik höher, da die Möglichkeit, Entitäten an Hand eines bestimmten Kanons zu vergleichen, sinkt, je mehr die Zahl der möglichen Gaben steigt.


Traits
Traits bezeichnen wiederrum Werte, die gewisse Entitäten beschreiben können. Anders als Fertigkeiten sind sie relativ frei wählbar. Das heißt der verantwortliche Teilnehmer kann - häufig innerhalb gewisser Grenzen - hinschreiben, was er möchte.

Traits werden vielfach als "Balancing-Problem" gesehen und in der Tat sind sie für nicht wirklich das Mittel der Wahl, wenn man ein taktisches Spiel möchte. (Zumindest wenn man in dem Bereich, in dem die Traits verantwortlich sein wollen, ein taktisches Spiel wünscht.)

Nutzen: Traits sind hervorragende Flaggen. Es gibt kaum besseres. Daneben ermöglichen Traits es "jeden Charakter zu bauen", etwas, das vielfach gewünscht wird.


Ein besonders wichtige Art von Eigenschaften sind Resourcen. Resourcen sind numerische Werte, die sich regelmäßig ändern. Resourcen können Attribute, Gaben oder Traits sein oder auch nichts davon. Sie kommen grob in zwei Arten vor: Als aktive und passive Resourcen.

Passive Resourcen
Passive Resourcen kommen meist in Form von Lebenspunkten o.ä. vor. Sie lassen sich nicht bewusst ausgeben, sondern verändern sich unter bestimmten Bedingungen. Menschlichkeit bei Vampire und Banalität bei Changeling lassen sich z.B. auch als passive Resource auffassen.

Nutzen: Passive Resourcen dienen meist als Indikator für irgendwelche, wichtigen Zustände und sie sind ausgenommen gut darin. Immer wenn sich der aktuelle Wert einer Resource ändert, erfordert er Aufmerksamkeit. Da sich der Wert bei passiven Resourcen auch gegen den Willen des Besitzers ändern kann, wird, was immer die Resource beschreibt, wertvoll.


Aktive Resourcen
Aktive Resourcen dagegen können gezielt ausgegeben werden, um bestimmte Effekte zu erreichen. Sie bilden so klarer Weise ein taktisches Element. Die wohl klassischte Anwendung für aktive Resourcen ist Mana, also die Benutzung der Resource als "Energiequelle" für bestimmte andere Eigenschaften. Der Begriff Mana wird häufig nur benutzt, wenn eine Resource verschiedene Eigenschaften antreibt, aber es lässt sich natürlich an jeden Wert eine eigene Batterie anhängen.

Eine weitere häufige Anwendung sind Gummipunkte. (Das ist zumindest, die Bezeichnung, die sich im Grofafo eingebürgert hat. Keine Ahnung, woher sie stammt.) Gummipunkte greifen in zufallsbasierte Resolutionstechniken ein, um die Möglichkeit zu geben ungewünschte Ergebnisse zumindest gelegentlich abzumildern. Beispiele für Gummipunkte sind etwa Willenskraft in der WoD, Dramawürfel bei 7te See, Aspekte (bzw. deren Stufen) und Schicksalspunkte bei Fate und im Grunde auch die Charaktereigenschaften bei PtA.

John Kirk klassifiziert abweichend davon noch das Sicherheitsventil, als eine besonders seltene, häufig nicht regenerative Resource, die dazu dient besonders schwerwiegende Unfälle bei Zufallsresolution abzuschwächen. Dazu zählt häufig der Charaktertod, so dass etwa die Hand Gottes bei Shadowrun ein solches Ventil darstellt.

Ebenso gibt es natürlich Spiele, wo aktive Resourcen überhaupt die primäre Form der Resolution darstellen.

Nutzen: Aktive Resourcen führen zu wirtschaftlichem Denken. - Zumindest wenn man sie auch ausgeben kann. Wie bei den passiven Resourcen lenkt die Möglichkeit aktive Resourcen einzusetzen Aufmerksamkeit.

Das bedeutet, dass aktive Resourcen, um interessant zu sein, auch möglichst häufig einsetzbar sein müssen. Ich bevorzuge gegenüber einem Sicherheitsventil deutlich beliebige Gummipunktmethoden. Einfach, weil sie relevanter sind. Werte, die nur alle Jubeljahre mal zuschlagen, sind einfach überflüssig.


Nach der Betrachtung von Resourcen kann man diesen also einfach die eher statischen Werte gegenüberstellen. Statische Werte sind an sich uninteressanter als Resourcen, benötigen weniger Denkarbeit und sind daher sinnvoll, wenn regelmäßig und ohne viel Nachdenken auf den Wert zugegriffen werden soll.

Allerdings kann man auch mit statischen Werten kurzfristige, taktische Möglichkeiten bieten (nicht nur langfristige, strategische). Das funktioniert am Besten, indem man es ermöglicht ein Problem mit mehreren Werten zu lösen, so dass man den besten auswählen muss. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist Nine Worlds.


Auswahl & Skalierung
Bestimmte Werte auszuwählen scheint ein großes Problem zu sein und scheinbar denken viele Newbies 50% der Zeit nur darüber nach, ob Agilität oder B'gilität besser sei. Ich muss das wissen, mir gings früher auch so. Lasst mich euch: Es gibt wichtigeres im Leben, z.B. was der Wert tun soll.

Wichtiger ist schon, wieviele Werte man denn nehmen sollte. Eine Grundregel ist, dass der Mensch nur 7+2 Speicherplätze im Hirn hat. Die sollten wir nicht überbelasten. Wenn irgendwo mehr benutzt werden sollen, ist es daher unbedingt nötig, gewisse Strukturen zu bieten, an denen sich der Leser orientieren kann.

Das gleiche Problem bietet sich bei der Skalierung. Eine Hunderterskala ist einfach deshalb Unfug, weil es keinen greifbaren Unterschied zwischen 48 und 49 gibt. Viele Autoren versuchen sich daher darin ihre numerische Skala mit Worten gleich zu setzen. Fudge macht das z.B. in allen Varianten. Das ist bei einer kurzen Skala eigentlich eine sehr gute Idee, sofern man das, was die Bezeichnugnen vermuten lassen, dann auch im weiteren Spiel umsetzt. (Das kann ein echtes Problem werden, wie man bei White Wolf und 7te See sehen kann.)

Wenn die Skala etwas größer ist, kann man sich mit einem Trick aus dem Bildungswesen behelfen. In der Schule wird ja die 6-elementige Skala von "sehr gut" bis "ungenügend" in 15 Schritte ein, indem jede Stufe (bis auf die Sechs) in drei geteilt wird: 1+, 1, 1-, 2+, 2,...
Das ist sehr leicht verständlich, der Wert ist dann jeweils am unteren Ende, in der Mitte oder am oberen Ende einer Bezeichnung.

Insgesamt würde ich aber empfehlen, die Skalen grade so groß zu machen wie nötig ist.


Gruppen von Werten
Ich sprach ja im letzen Abschnitt von Strukturen. Strukturen sind gut und die einfachste Art Strukturen auf Werten zu erzeugen, ist Werte in Gruppen zusammenzufassen. Dabei sollte man allerdings darauf achten, was man da tut.

Seid geraumer Zeit greift die Unsitte um sich in ein Spiel eine Abfallkategorie für Werte des Gaben-Typs namens "Vorteile" einzuführen. Da kommt einfach alles rein, was nirgends anders rein passt. Das war nämlich auch die Idee, denn diese "Vorteile" wurden für Spiele erfunden, die schon gewisse andere Gruppen hatten und nun die Möglichkeit schaffen wollten, "jeden Charakter zu bauen". Wie oben angemerkt sind Traits da eine deutlich sinnvollere Variante, denn diese Vorteile sind grade die Antithese zur Übersichtlichkeit.

Ein sehr lobenswerter Vertreter ist in dieser Beziehung D&D. Hier ist alles säuberlich von einander getrennt, wie z.B. die Fähigkeit mit bestimmten Waffen umzugehen keine Fertigkeiten sind. Über dieses Problem stolpern Rollenspiele regelmäßig, dass sie enge Waffengattungen mit relativ breiten Fertigkeiten unter einen Hut bringen wollen. Als letzter, bekannter, deutscher Vertreter dieses Übels sei hier Arcane Codex genannt. Aber auch Shadowrun ist seiner Zeit in eine ähnliche Falle getappt, die dann später korrigiert wurde, als Wissensfertigkeiten und Aktionsfertigkeiten in der dritten Edition getrennt wurden.

Ein ähnliches Problem kann auftreten, wenn einige Werte in einer Gruppe, während des Spiels Einfluss auf die W-Ebene nehmen und andere nicht. Viele Spiele haben das Problem, dass die Leute lieber Kampffertigkeiten und Stärke steigern als soziale Fertigkeiten und Charisma. Einfach weil man bei ersteren für seine geldwerte Aktivresource auch was Handfestes bekommt, nämlich die Möglichkeit anderer Leute überaus handfeste Lebenspunkte zu reduzieren. Ein schönes Beispiel ist hier 7te See, wo die Attribute tatsächlich alle kampfrelevant sind. (Die andere Möglichkeit für das Charisma-Problem wäre natürlich, Charakteren nicht nur Lebens-, sondern auch Freundlichkeitspunkte zu geben.)



Das wars soweit von mir. Das ganze hier ist teilweise scheint mir teilweise sehr stichpunktartig, aber auch so ist das ein ganz schöner Batzen Text. Kommentare sind natürlich immer wie immer erwünscht und ich hätte da auch gleich mal eine Frage. Ich plane nämlich für das nächste mal etwas Stochastik zu machen. Nicht weil, ich das so relevant finde, sondern weil das so oft verlangt wird. Mich würde daher interessieren, an welcher Stelle ich da einsteigen soll. Was kann ich voraussetzen?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Guter Artikel.

Zu numerischen Skalen die mit Beschreibungen gleichgesetzt werden (Fudge, Castle Falkenstein etc.) hätte ich aber einen etwas konstruktiveren Kommentar:
Ich finde das furchtbar wenn diese Beschreibungen dann mechanisch doch wieder in Zahlen umgesetzt werden. Da finde ich es besser gleich klipp und klar den Zahlenwert hinzuschreiben, da sonst mit dem Merken/Nachschlagen der Beziehung Zahlenwert:Beschreibung nur eine zweckfreie AB-Maßnahme vorliegt. (Vielleicht bin das aber auch nur ich BWLer der von überflüssigen Arbeitsschritten Ausschlag bekommt.)

Anonym hat gesagt…

Bin grad dabei, das Blog so häppchenweise von hinten bis vorne zu lesen. Muss sagen, ist ne Menge gut brauchbares Material. Bestätigt viele Gedanken, die ich schon habe, aber schön klar aufbereitet.

@Skyrock: Die beschreibenden Skalen wie bei FUDGE finde ich extrem sinnvoll, nutze das jetzt schon seit Jahren. Es macht halt doch einen Unterschied, ob ich da stehen habe "+1" oder "brauchbar". Zahlen sind eben nur abstrakt, und jeder hat da andere Vorstellungen davon. Wenn es eine Beschreibung gibt, habe ich eine gute Richtlinie, wie der Wert festzulegen bzw. was darunter zu verstehen ist. Funktioniert meiner Erfahrung nach zumindest sehr gut.