Dienstag, Dezember 28, 2010

Spaßquellen im Rollenspiel

Darüber, was beim Rollenspiel Spaß bereitet, gibt es ja massig Meinungen und über kein anderes Thema ist so viel Abrieb auf Tastaturen erzeugt worden. (Tinte vergießt ja heutzutage keiner mehr.)

Ich möchte dennoch einmal selbst sammeln. Wem jetzt schon die Haare zu Berge stehen, den bitte ich um Nachsicht und dass er lieber andere Beiträge lesen möge.


Das Versenken in einen gespielten Charaker (Immersion).
Das schauspielerische Darstellen eines Charakters.

Diese beiden Dinge muss man unterschieden. Das Versenken ist ein persönlicher Geisteszustand, der vor allem aus dem Spieler selber kommt. Gewisse Maßnahmen wie die Herrichtung der Spielumgebung können dazu beitragen.

Die schauspielerische Darstellung ist dagegen der bewusste Versuch, den Mitspielern eine gute Show zu liefern. Hieraus ergibt sich denn auch die Möglichkeit, dass die Mitspieler diese Darstellung genießen.

Gelegentlich stören sich diese Vorgänge sogar. Ich erinnere mich an eine Spielerin, die sich einen Jäger baute und den ganzen Abend wenig sagte. Da sie sonst eine recht extrovertierte Person ist, fragte ich sie hinterher, ob sie etwas bedrücke. Sie sei doch recht still gewesen. Antwort: "Ne, mein Charakter ist halt ein schweigsamer."


Dann haben wir das Entwerfen und Zeigen von fiktiven Welten, Figuren und Situationen, sowie der Genuss sich solches zeigen zu lassen, den Fantasy-Tourismus.

Als spezielle Ausprägung in diesem Zusammenhang, mag vielleicht noch das Erstellen von Handouts genannt sein.

Hierzu muss man ansonten, wie ich meine, nicht all zu viel gesagt werden, allenfalls, dass ich dieses ominöse "Storytelling" hiermit für abgedeckt halte. Der Storyteller ist eben einer der gerne gewisse Dinge entwirft und zeigt.

Eng verbunden mit diesem Paar ist das tangentielle Ausgestalten, bei dem ein Spieler sich Dinge ausdenkt, sie aber nicht zeigt und vielleicht auch nicht zeigen will. Dies findet sich typischer Weise in Zusammenhang mit dem eigenen Charakter, in den sich der Spieler versenkt und wird ggf. auch von der Erstellung privater "Handouts" begleitet.


Sodann kommen wir in den Bereich des Problemlösens, bei dem Spieler durch ihre realweltliche und spielweltliche Erfahrung versuchen, positiven Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen. Diese Tätigkeit kann sich aus ganz verschiedenen Kompetenzbereichen speisen, etwa der Fähigkeit sich in andere Hineinzuversetzen, angelesenes Wissen über das Setting oder auch realweltliches Spezialwissen etwa über technische oder militärische Zusammenhänge.

Die Gruppe des Problemlösens würde ich dennoch als einheitlich betrachten insofern, dass für gewöhnlich nicht vorgegeben ist, wie das Problem zu lösen ist bzw. dass gelegentlich ein Problem gar nicht explizit gesetzt wird. So war es vielleicht gar nicht erwartet, die Orks Richtung Stadt zu locken, ihnen dort einen Hinterhalt zu stellen und in den Augen der Stadtbevölkerung so als Helden dazustehen.

Deutlich abgegrenzt hierzu ist denn also das Rätsellösen, bei dem die Spieler als Spieler in Form eines Minispiels an einem gestellten Rätsel knobeln.


Mit dem Problemlösen verwandt ist der Umgang mit Dilemmata. Hier wird eine Situation konstruiert, die keine gute Lösung hat, sondern die Wahl zwischen zwei Übeln lässt. Der Spieler muss sich also entscheiden und - vermittels eines gespielten Charakters - Position beziehen.

Dieser Umgang mit Dilemmata ist eine typische Säule des forgianischen Narrativismus.


Sodann gibt es den cleveren Umgang mit den Spielmechanismen ("Powergaming"). Der Ansatz ähnelt dem Problemlösen insofern, dass auch hiermit Einfluss auf die Spielwelt ausgeübt werden kann. Anders als das Problemlösen kann das Nachdenken über Spielmechanismen auch abseits des Spiels und sogar ohne Blick auf eine konkrete Spielrunde interessant sein.

Stärkste Ausprägung findet dieses vom eigentlichen Rollenspiel gesonderte Gedankenspiel in der Optimierungskultur unter D&D-Spielern, aber bis zu einem gewissen Grad auch bei anderen größeren Spielen.

Mit dem Problemlösen kann diese Spaßquelle in Konflikt geraten, wenn auf Grund der Spielmechanismen eine andere Vorgehensweise optimal ist als nach Augenschein oder Fachwissen, sei es realweltlich oder auf das Setting bezogen.


Ebenfalls aus den Spielmechanismen speist sich die Freude am Zufall, entweder bei der Hoffnung einen Erfolg zu erzielen oder bei zufällig erstellten fiktiven Inhalten (also etwa Ergebnissen aus Zufallstabellen).


Letztlich erkenne ich die relativ spontane Darstellung dramatischer Abläufe, bei der es darum geht Geschehnisse abwechslungsreich und eindrucksvoll zu beschreiben. Dies kommt vor allem bei Kampf- und Actionszenen vor, bei passenden Regeln aber auch bei anderen Arten von Szenen.

Es unterscheidet sich von vom Entwerfen und Zeigen dahingehend, dass man die Inhalte nicht immer gezielt vorbereiten kann, sondern häufig am Spieltisch improvisieren muss. Von spontanen Einfällen beim Problemlösen unterscheidet es sich insofern, dass vor allem eine ästhetische Würdigung der Darstellung stattfindet und keine kritische Überprüfung des Inhalts stattfindet ("Style over Substance").


Zu beachten ist schließlich, dass die meisten der genannten Spaßquellen reziprok sind, auch wenn dies nicht gesondert erwähnt wird. So kann man Spaß am Problemlösen haben und Spaß daran haben, anderen Spielern Probleme zum Lösen zu geben, oder auch als eine dritte Person, die Problemlösung zu beobachten.

Den Fantasy-Tourismus habe ich dabei explizit aufgeführt, weil er von Spielern häufig explizit als gewünscht beschrieben wird.


Ich habe bei der Auflistung versucht persönliche Präferenzen zurück- und den Stoff möglichst neutral darzustellen. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass gewisse Vorgehensweisen nicht gewürdigt wurden, einfach weil sie mir noch nicht als solche aufgefallen sind. Wenn das so ist, würde ich mich um Ergänzung freuen.

4 Kommentare:

kirilow hat gesagt…

Ein sehr schöner Post!

Mir fallen auch kaum noch Ergänzungen ein. Vielleicht kann man noch das spielerische Erkunden des "was wäre wenn?" nennen -- allerdings ist das vielleicht mehr Motivation als Spaßquelle.

Was tatsächlich fehlt ist die so etwas wie die "Spannung, was wohl als nächstes geschieht". Diese Spaßquelle ist zwar nicht rollenspielspezifisch, aber doch recht wichtig, wie mir scheint.


Zuletzt fehlen noch die sozialen Seiten des Rollenspiels, aber vermutlich ist es schlau, diese in einer solchen Auflistung auszulassen.

Liebe Grüße
kirilow

Georgios hat gesagt…

"Dieser Umgang mit Dilemmata ist eine typische Säule des forgianischen Narrativismus."

Das halte ich ehrlich gesagt für ein klassisches Missverständnis der Forge-NAR, die ihre Ursprünge im sehr speziellen (d.h. Egri-beeinflussten) Verständnis einer Narrative hat.

Es geht ja bei NAR ursprünglich darum einen reinen Plot (wie er bei Rollenspielen immer vorhanden ist) von einer Story zu unterscheiden. Dafür wurde halt Egris Sicht adaptiert, welche diese aussagenkräftigen Entscheidungen von Personen als Grundbaustein einer Story voraussetzt.

Das sind nicht nur Dillemmata, so wie du sie beschreibst. Es kann auch einfach nur die Entscheidung zwischen Eigeninteresse und Altruismus sein ("hilft der Charakter dem Verletzten oder rettet er seine eigene Haut?"). Situationen ohne Lösungen sind nur eine von sehr, sehr vielen Möglichkeiten wie man NAR verfolgen kann. Aber ihn zu einer "Säule des forgianischen Narrativismus" erheben, scheint mir etwas weit gegriffen. Das ist bestenfalls eine Vorliebe manher Spieler. (Oder wenn man weniger wohlwollen sein will, eine gewisse Unzulänglichkeit dieser Spieler eine Story anders zu erspielen oder verstehen.)

Stefan / 1of3 hat gesagt…

Kirilow schrieb:
Was tatsächlich fehlt ist die so etwas wie die "Spannung, was wohl als nächstes geschieht".

Ist das nicht in vielen anderen Dingen, die im Beitrag aufgeführt sind, enthalten?

Wenn ich eine Maßnahme in Sachen Problemlösung getroffen habe, bin ich gespannt, wie sie sich auswirkt.

Wenn ich einen Zufallsprozess bemühe, bin ich gespannt, was dabei herauskommt.

Wenn ich um die nächste Ecke gehe, in der Erwartung, was mir jemand anderes erzählt, bin ich eben gespannt auf die Erzählung.



Wenn du noch andere Dinge kennst, auf die man gespannt sein könnte, bin ich allerdings gespannt sie zu hören. ^^


Was du mit "Was-wäre-wenn?" meinst, ist mir leider nicht ganz klar geworden.

Spielst du auf Dinge wie alternative Geschichtsverläufe an? Was hätte ich getan, wenn ich an Stelle der Indianer gewesen wäre?


@Georgios: Ich verstehe. Danke für die Aufklärung. Vielleicht ändere ich die betreffende Passage noch einmal.

Es scheint mir allerdings so, dass Dilemmata dann meistens sehr gezielt konstruiert werden, um den entsprechenden Effekt zu erzielen.

Also nicht nur die Frage, ob man seine eigene Haut rettet, sondern ob man seine eigene Haut rettet und so vielleicht noch das Königreich zu wahren.

Das ist auch gar nicht blöd oder schlecht, sondern nur eine Zuspitzung der Situation, um schneller zum Ergebnis zu kommen.

Georgios hat gesagt…

re: Dilemma

Es ist sicherlich eine von vielen Möglichkeiten sein NAR-Ziel zu erreichen. Man sollte sich halt nur nicht zu überschwenglich auf diese "moralischen Zwickmühlen" konzentrieren bzw. Forge-NAR zwingend damit in Verbindung stellen.

Und du hast auf jeden Fall Recht, dass es sich dabei um ein Mittel handelt diese NAR-Momente (also Situationen mit Aussagekraft) schneller ins Spiel zu bekommen. Aber diese Direktheit hat auch ihren Preis. Zum einen können diese Situationen zunehmend konstruierter und gelenkter wirken und so weniger wirksam sein. Wie etwa bei Filmen, in denen ein Plot-twist nur deshalb eintritt, weil es "dramatisch" wäre und nicht weil es eine logische und stimmige Entwicklung vorangeganger Ereignisse ist. Ich habe es aber auch schon erlebt, dass solche Situationen immer extremer, härter und vulgärer wurden, um eine Reaktion bei den Spielern hervorzulocken. Also der Versuch aussagekräftige Momente zu erreichen, in dem man die "inhaltlichen Stakes" so weit aufdreht, dass man sich schon aktiv dagegen verwehren muss, den Handlungen keine weitere Bedeutung zuzuschreiben.

Ich denke viele Ressentiments bei Rollenspielern was diese NAR-verwandte Spielweise angeht, lassen sich auf übereifrige oder unvorsichtige SLs zurückführen, die mit einem solchen Verhalten sowohl die Glaubwürdigkeit der Spielwelt, wie auch den Willen der Spieler sich in ihre Charaktere und ihre Situationen einzufühlen, untergraben haben.