Mittwoch, August 27, 2008

[Balance] Ressourcenstromdopplung

Salvete!

Heute möchte ich mich einmal der Frage widmen: "Ist das denn balanced?" Kommt ständig. Zunächst kann man sagen:

Balance ist, wenn sich keiner benachteiligt fühlt.

Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis und am Spieltisch eigentlich die, die zählt. Allerdings können wir als Designer uns damit leider nicht zufrieden geben, denn wir können leider nicht wissen, was die Leute irgendwann mal vielleicht fühlen werden, wenn sie ein Spiel spielen.

Gewisse Leute fragen, ob denn der Designer sich mit Balancing überhaupt beschäftigen sollte. Das sollte er wirklich, denn es gibt für ihn keinen Grund das nicht zu tun. Es ist ja in der Tat so, dass es verschiedene Umstände gibt, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich jemand benachteiligt fühlt. Sich mit so etwas nicht zu beschäftigen, ist also schlicht faul.

Kommen wir also zu diesen einzelnen Dingen und wie man damit umgehen kann:


Ressourcenstrom-Doppelung
Den Begriff hab ich schon häufiger mal fallen lassen, aber - wie ich fürchte - noch nicht ganz eindeutig erklärt: Es geht also so, dass es eine Eingangsressource I und eine Ausgangsressource O gibt und mehrere Wege I in O umzutauschen.

Typisches Beispiel sind für I gewisse Charakterbaupunkte, für O die Anzahl der geworfenen Würfel, und für die zwei Wege etwa Attribute und Fertigkeiten, die zur Bestimmung der Würfelzahl addiert werden. Dann bezahlt man also Charakterpunkte um Attribute und Fertigkeiten zu kaufen und addiert die wieder zusammen.

Da Attribute und Fertigkeiten vermutlich nicht gleich viel kosten, kann man sich überlegen wie man die gewünschten Würfelpools mit möglichst wenig Kosten bekommen kann. Man kann auch sagen: Fertigkeiten und Attribute stehen in direkter Konkurrenz.


Warum aber ist das überhaupt ein Problem? Dann finden die Spieler eben die optimale Verteilung raus und benutzen die. Das ist ein sehr guter und sehr richtiger Einwand. Wenn es nur ums Gewinnen geht, ist jede faire Regel akzeptabel.

Allerdings sind Attribute und Fertigkeiten (wie die meisten Dinge im Rollenspiel) nicht reine Mittel zum Gewinnen, sondern haben eine gewisse Bedeutung. Man möchte sie z.B. benutzen, um den Charakter zu beschreiben.

Wenn man sich aber so einen Doppelstrom einbaut, geht das nicht mehr ohne weiteres. Wenn man dann nämlich danach geht, wie man den Charakter haben möchte, fällt u.U. sofort ins Auge, dass man den Charakter "verskillt" hat. Das heißt der rationale Spieler wird bestraft, weil er in seinen Ausdrucksmöglichkeiten beschnitten wird.


Diese Ressourcenstrom-Betrachtung beschränkt sich natürlich nicht nur auf irgendwelche Charakterwerte, sondern kann als generelles Design-Prinzip betrachtet werden.

Die optimale Lösung ist allerdings immer so einfach wie radikal: Man löst den Doppelstrom vorne oder hinten auf. Entweder darf es kein gemeinsames I oder kein gemeinsames O geben.

Einige versuchen zwar die optimale Austauschrate zwischen I und den Zwischenstationen zu finden, in der Hoffung dadurch Balance erzielen zu können, aber wie wir gesehen haben, geht das völlig am Ziel vorbei: Jede beliebige Setzung einer Austauschrate verändert nur die optimale Strategie. Das Problem aber bestand nicht in der spieltheoretischen Optimierung, sondern in einer Beschränkung des künstlerischen Ausdrucks durch die Existenz einer zu offensichtlichen Optimalstrategie.



Ich hab noch ein bischen mehr zur Balance in Petto. (Dieses rsp-blogs.de verleitet wirklich zum Posten.) Auf jeden Fall war das hier der schwerste Teil. Rest folgt bei Gelegenheit.

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist für mich - jedenfalls bei D&D und GURPS - wirklich zu einem Problem geworden. Bei Cyberpunk 2020 auch schon. Immer dann, wenn man eine konkrete Idee hat, was ein Charakter vorher gemacht hat, und dies mit Punkten zu umschreiben versucht - und die Punkte selbstverständlich nicht ausreichen. Und man die Punkte eben dann doch dorthin tut, wo sie spielrelevant sind.

Anonym hat gesagt…

Und bitte, wenn du schon so nett rsp-blogs.de verlinkst (und du findtest dich damit bei den Testimonials auf rsp-blogs.de), dann doch bitte mit Link...

alexandro hat gesagt…

Mal ehrlich: gibt es *irgendein* System (komplett würfel- und wertelose einmal ausgenommen, genau wie solche wo die Spielwerte nicht unbedingt charakterbeschreibend sind, wie z.B. TSOY), wo eine vorherige Charakteridee *nicht* mit den Spielregeln kollidiert?

Bei D&D würfelt man die Werte aus, bei Traveller wird gar der ganze Lebensverlauf ausgewürfelt, bei Feng Shui wählt man Archetypen, sonst gibts eigentlich nur Punktebausysteme (Wod, Savage Worlds, HERO...). Hab ich was vergessen?

Es ist eher so, dass man (mit wachsender Vertrautheit mit dem System) die Regeln bei der Konzeptplanung bereits im Hinterkopf hat und sich deshalb die Konzepte "organischer" an*fühlen*, aber wirklich schlüssiger werden sie dadurch nicht.

Müssen sie auch gar nicht.

Anonym hat gesagt…

Balancing ist, wenn sich alle gleich oft beschweren.

Anonym hat gesagt…

Mit Scorpios Definition kann ich gut leben. Die trifft vermutlich zu. Indikator in meiner Gruppe ist, wenn sich alle beschweren, weil die jeweils anderen besser sind und sich trotzdem weigern, einfach die Charaktere zu tauschen.^^

Kelen hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Anonym hat gesagt…

"Die optimale Lösung ist allerdings immer so einfach wie radikal: Man löst den Doppelstrom vorne oder hinten auf. Entweder darf es kein gemeinsames I oder kein gemeinsames O geben."

ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.
den strom vorne aufzulösen, hieße, den spielern beliebig viele punkte für den hintergrund zur verfügung zu stellen? wie kann man man den strom am hinteren ende auflösen.

Stefan / 1of3 hat gesagt…

OK. Ich geh das mal durch:

- Die Darlegung greift nur, wenn Werte gekauft werden. Alexandro, dein Einwurf ist damit hinfällig.

Sobald irgendwas ausgewürfelt wird, ist das ganze nicht anwendbar. Würfeln ist nicht schlecht, sondern wenn man sich darauf geeinigt hat, ist selbst dem Dümmsten klar, dass er nehmen muss, was kommt.

Das Argument, dass ich benutzt habe, ist das in der beschriebenen Konstellation ein Punktkauf-Sytem nicht mehr das tut, was so oft behauptet wird: Man kann nicht guten Gewissens kaufen, was man will.


- Dies nicht guten Gewissens tun zu können, betrifft hier aber noch nicht Dinge wie unterschiedliche Nützlichkeit von Meditation oder Schwertkampf. Da musst du irgendwas falsch verstanden haben, dirk. Das wird im nächsten Beitrag behandelt.

Es geht hier darum, dass es zwei Methoden gibt, meinetwegen, Meditation zu kaufen.

Sobald du zwei verschiedene Endwerte miteinander vergleichst, bist du im falschen Beitrag.


daredan hat gefragt:

< <
ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.
den strom vorne aufzulösen, hieße, den spielern beliebig viele punkte für den hintergrund zur verfügung zu stellen? wie kann man man den strom am hinteren ende auflösen. > >

Den Strom vorne aufzulösen heißt, zwei Punktepools zu haben. Meinetwegen einen für Attribute und einen für Fertigkeiten, die völlig voneinander getrennt sind.

Hinten auflösen heißt, dass Attribute und Fertigkeiten nicht addiert werden, sondern getrennt voneinander wirken.

Hackfleischkannibale hat gesagt…

Erst mal ein wenig Haarspalterei: Du meinst nicht spiel- sondern entscheidungstheoretisch. Spieltheoretisch ist, wenn neben mir noch wer das Endergebnis beeinflusst.

dann @ Dirk: Ich sehe ehrlich gesagt nicht, wie Ressourcenstromdopplung eine Fairness bringt, die durch die Alternativen (Getrennte Quellressourcen oder getrennte Effekte) nicht erreicht würde.

"Ich denke, die Spieler die emanzipiert genug sind, 'bauen' ihren Charakter eh, wie SIE es wollen.
Zu deutsch, sie machen das beste aus dem, was sie haben, ohne rumzumurren. Da es hier aber um Design geht, stellt sich nicht die Frage, wie ich die Spieler dazu bringe das Gegebene zu akzeptieren, sondern wie ich was besseres produziere.

"Alle anderen müssen sowiso "punktetechnisch Erzogen" werden um ein allgemeines Maß von Fairness zu gewährleisten."
Soll heißen? Das hört sich für mich wieder nach "wie bringe ich meine Spieler dazu fairer mit dem System umzugehen" an, wo man als Designer gleich das Problem der mangelnden Fairness an der Wurzel ausrotten kann.

"Am Ende steckt das Problem ja nicht in der Dopplung selbst, sondern in den Fehlern des Spiels, einige Teile dieser Mechanik mehr zu belohnen als andere."
Ich sehe da keine entweder-oder-Entscheidung. Ich kann bei fairer Gewichtung aller Skills trotzdem immer noch bessere Attribute haben, oder bei vernünftiger Trennung von Attributen und Skills unterschiedlich nützliche Skills haben.

"Welcher Spielleiter ab und an auch mal die 'unwichtigen Skills/Attribute' zu fordern weiß, wird wesentlich weniger Probleme in dieser Hinsicht haben und so dem Skillzwang entgegenwirken und seinen Spielern kreatives Charakterdesign zurückbringen und belohnen."
Da find ichs ja schöner den Spielern die Möglichkeit zu geben, ihre Skills aktiv zu nutzen und sich ihr kreatives Design selbst zu nutze zu machen. Da bin ich als SL nicht hinterher schuld, wenn ein Charakter nicht zum Einsatz kommt.

Anonym hat gesagt…

@Stefan: Ich hab schon alles richtig verstanden. Doch das Problem das du anreißt geht weit über die Konkurrenz von Attributen und Fertikgeiten hinaus. Auf dieser sehr kleinen Ebene spiegelt sich das allgemeine und Problem des "Zwanges" von Werteoptimierung im Rollenspiel und der damit verbundenen - richtig erkannten - Beschneidung des kreativen Gestaltens des Charakters. Warum suchen die Spieler nach 'optimierten Verteilungen' und wie kann das System alle Verteilungen möglichst fair? Ich gebe zu, dass dies - wie mein erster Post auch - über deinen Artikel hinausgreifen will und auf eine viel allgemeinere Debatte verweist in der der eigentliche Übeltäter steckt. Die Worte [Attribut] und [Fertigkeit] sind selbstverständlich in diesem Sinne mit [Wert A] und [Wert B] auszutauschen. Attribute sind systemtechnisch betrachtet 'breitere' Fertigkeiten. Das Problem wird also mit der Entkopplung nicht behoben, sondern nur vertagt, die allgemeine Rivalität zwischen Werten sowie die soziale Rivalität am Spieltisch unter Spielern über Werte existiert weiter, sowie die von @Alexandro benannte "Kollision von Charakteridee und System". Hier gilt es anzusetzen und durch ausbalancieren einzelner Werte und Ansprechen möglichst zahlreicher Werte in der konkreten Handlung am Spieltisch die geforderte Fairness herzustellen. Hier ist nämlich die Optimierung, nicht die Auflösung Trumpf.

Anonym hat gesagt…

@Stefan (sorry, lösch den ersten Post, hier nochmal fehlerfrei): Ich hab schon alles richtig verstanden. Doch das Problem das du anreißt geht weit über die Konkurrenz von Attributen und Fertikgeiten hinaus. Auf dieser sehr kleinen Ebene spiegelt sich das allgemeine Problem des "Zwanges" von Werteoptimierung im Rollenspiel und der damit verbundenen - richtig erkannten - Beschneidung des kreativen Gestaltens des Charakters. Warum suchen die Spieler nach 'optimierten Verteilungen' und wie kann das System alle Verteilungen möglichst fair ermöglichen? Ich gebe zu, dass dies - wie mein erster Post auch - über deinen Artikel hinausgreifen will und auf eine viel allgemeinere Debatte verweist in der der eigentliche Übeltäter steckt. Die Worte [Attribut] und [Fertigkeit] sind selbstverständlich in diesem Sinne mit [Wert A] und [Wert B] auszutauschen. Attribute sind demnach systemtechnisch betrachtet 'breitere' Fertigkeiten. Das Problem wird also mit der Entkopplung nicht behoben, sondern nur vertagt, die allgemeine Rivalität zwischen Werten sowie die soziale Rivalität am Spieltisch (unter Spielern über Werte) existiert weiter, sowie die von @Alexandro benannte "Kollision von Charakteridee und System". Hier gilt es anzusetzen und durch ausbalancieren einzelner Werte und Ansprechen möglichst zahlreicher Werte in der konkreten Handlung am Spieltisch die geforderte Fairness herzustellen. Hier ist nämlich die Optimierung, nicht die Auflösung Trumpf.