Moinsen.
Polytheistische Religionen erfreuen sich ja in Rollenspielsettings seit alten Zeiten einer gleichbleibenden Beliebtheit. Mit einer polytheistischen Religion, die wirklich existiert hat, habe ich mich recht ausgiebig beschäftigt. Ich möchte daher ein paar kurze Charakteristika erläutern, die vielleicht auch für den ein oder anderen Weltenbastler interessant sind.
Und zwar meine ich die Religion des alten Roms.
1.) Die römische Religion war eine Staatsreligion.
Und zwar war sie das in viel stärkerem Maße als wir den Begriff heute benutzen. Die korrekte Durchführung der Riten galt als notwendig zum Erhalt des Staates. Sollte also etwa im Vesta-Tempel das Feuer ausgehen, so wäre das eine Gefahr für den Bestand des Staates und es müssen daraufhin passende Entsühnungsriten durchgeführt werden.
2.) Es gibt keine Kirche und keine Vollzeitpriester.
Wenn wir an Religion und Priester denken, so haben wir ein Bild von Leuten, die ihr Leben Gott widmen und ihre meiste Zeit in den Dienst der Gemeinde stellen. Das gilt nicht im alten Rom. Priester zu sein ist ein Ehrenamt, in das man nach bestimmten Verfahren gewählt wird. Es gibt keine Ausbildung zum Priester, wie wir das kennen. Gewählt wird man auf Lebenszeit.
Man trifft hier regelmäßig die gleichen Leute, die auch politische Entscheidungen fällen und Kriege führen, eben die Elite des Staates. Cicero, Caesar und Konsorten... alle hatten sie auch ein Priesteramt.
3.) Man ist Priester für bestimmte Rituale.
In Rom gab es verschiedene Kollegien von Priestern. Diese waren jeweils für die Durchführung bestimmter Rituale verantwortlich. So hüpften die Salier zweimal im Jahr, mit ihren traditionellen Schilden und dem uralten Gesang durch die Straßen. Den Rest des Jahrs hatten sie nicht viel zu tun.
Man ist also nicht in dem Sinne Priester eine Gottes, wie das in den typischen Fäntelalter-Welten vorkommt. Man ist Priester, um an gewissen Tagen im Jahr gewisse Dinge zu tun.
Gelegentlich kommt es sogar vor, dass über den Gott dem ein gewisses Ritual geweiht ist, Unklarheit herrscht. So waren die Parilia ein Fest zu Ehren einer alten Hirtengottheit namens Pales. Ob diese Gottheit ein Mann oder eine Frau war, darüber bestand Unklarheit. Und die Salier z.B. verstanden schon im 1. Jh. v.Chr. nicht mehr, was sie da eigentlich genau sangen.
4.) Das Auguralwesen
Eine Besonderheit des römischen Kultes ist der Umgang mit göttlichen Zeichen. Die Götter schicken Blitzen, Donner, Erdbeben ihr missfallen. Weiterhin kann man ein solches Missfallen auch durch Beobachtung der Vögel o.ä. gewinnen.
Zu diesem Zweck gibt es das Amt der Auguren, ein Kollegium, dass sich auf diesen Themenkreis spezialisiert. Weiterhin hatten die höheren Beamten Auspizien, also das Recht auf solche Zeichen zu achten. Auf dieser Basis ließen sich z.B. Volksversammlungen vertagen. Der Obnuntiierende geht also zum Versammlungsplatz, verkündet, dass er ungünstige Vorzeichen gesehen hat und verlangt, dass die Sitzung vertagt wird. (In späteren Zeiten der Republik hat man jemanden, der sowas versucht hat, dann schon mal Schläge angedroht. Caesars Kollege Bibulus hatte daher Angst das Haus zu verlassen.)
5.) Keine Regeln ohne Ausnahme.
Ja, es gab in Rom auch Vollzeitpriester, und zwar die einzigen Priesterinnen des Staatskultes. Das sind die Jungfrauen der Vesta (oder Vestalinnen), die abgesehen von den gewissen Riten im Laufe des Jahres, das besagte Feuer im Tempel der Vesta hüten.
Es gab auch für gewisse Götter einen speziellen Priester, der nur für diesen Gott arbeitet. Das sind die Flamen. Flamen unterliegen auch gewissen Einschränkungen, wie wir uns das von Priestern vorstellen. So durfte etwa der Flamen des Jupiter nur zwei Nächte außerhalb von Rom schlafen. Diese Einschränkung liegt vor allem daran, dass quasi jeder Flame sein eigenes Kollegium ist. Es gibt also niemand anderen, der die passenden Rituale durchführen kann. Auf Grund dieser Einschränkungen allerdings, war etwa das Flamen-Amt des Jupiter in späten Zeiten ziemlich unbeliebt, so dass man sich fast das ganze 1. Jh. v.Chr. anders beholfen hat.
Und gewisse Kollegien hatten auch noch andere Aufgaben als nur Rituale durchzuführen. So war das wichtigste Kollegium, das der Pontifices, auch eine Art religiöse Autorität und bei Fragen wie Adoption und Erbschaft involviert.
Die „Fünfzehn Männer zur Durchführung von Opferungen“ waren daneben dazu da, in den Sibyllinischen Büchern nachzublättern, drei Bücher, die angeblich Prophezeigungen enthielten, wenn sie in einer Krise vom Staat dazu aufgefordert wurden.
6.) Die Fetialen
Ein Schmankerl zum Schluss. Das Kollegium der Fetiales war ursprünglich dazu da, Kriege zu erklären, Waffenstillstand zu schließen und andere solche diplomatische Aufgaben zu absolvieren. Das ging natürlich sehr gut, solange Rom gegen seine Nachbarn kämpfte.
Da ging der Fetialis zwecks einer Kriegserklärung zur Grenze, sagte ein paar gemessene Worte und schleuderte einen Speer rüber. Macht auch bestimmt Eindruck.
Bei Kriegen in Übersee, wo man den Fetialen und seinen Speer erstmal ranschiffen muss, ist das aber nicht sehr praktisch. Irgendwann kam dann ein schlauer Kopf in Rom auf die Idee, einfach ein Stück Rasen vor dem Tempel der Bellona, der Kriegsgöttin, rituell zum Feindesland zu erklären. Was macht der Fetialis dann? Er geht zum Rasen hin, spricht ein paar gemessene Worte und steckt seinen Speer in den Boden.
So viel erst mal. Wenn ihr Fragen habt, gerne fragen.
Freitag, November 13, 2009
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6 Kommentare:
Die offizielle Kriegserklärung in Abwesenheit des Feindes, um einen gerechten Krieg zu führen, ist so großartig. Das hat mich schon während meines Studiums total gerockt! :)
Sehr schöner Überblick!
Vielleicht solltest du aber dementsprechend die nicht-öffentliche Seite der Religion miterwähnen: Mysterienkulte, Hexenwesen, all das waren die Auswüchse, die daraus entstanden, das man halt doch oft genug einen Fachmann brauchte, den die Staatsreligion nicht stellen konnte oder wollte (z.B. private Divination, Heilungsriten, Schadzauber). Ebenso gab es Bedarf nach okkultem Wissen, der durch "fremde" Religionen bzw. "Unterkulte" gedeckt werden konnte - es war somit nicht nur den oberen Zehntausend möglich, geheimes Wissen zu erlangen und zu praktizieren, sondern auch jedem anderen. Nero war ja gut darin, sich alles aneignen zu wollen, was ihn Einblick in diese Bereiche gab. Und in der Kaiserzeit wurden nicht umsonst die Divinationen immer mehr verboten, weil die Kaiser fürchteten, jemand könne über sie ungute Sachen weissagen.
Die Trennung zwischen Aberglaube, Magie und Religion war da nicht so scharf, wie man heute meinen könnte!
Jo, antike (römische und griechische) Zaubersprüche gibts auch als kleines Büchlein von Reclam, das ich sehr empfehlen kann. Wer für seinen Magier mal wissen möchte, wie sowas "richtig" geht... ^^
Für die nicht öffentliche Seite der Religion wäre zunächst einmal der private Familienkult zu erwähnen. Es wurde erwartet, dass man in bestimmten Abständen Festmähler für die Toten an deren Grab ausführt und die meisten Häuser hatten wohl einen Schrein für die Lares familiares ("Familiengötter").
Diese privaten Praktiken waren urrömisch und fest in der Gesellschaft verwurzelt.
Dann gab es immer mal wieder neue Religionen, meist aus dem griechischen, klein-asiatischen und ägyptischen Raum. Die wurden dann vielfach in "römischer" Form praktiziert, sofern sie in das offizielle Repertoire aufgenommen wurden.
Gewisse Kulte wurden dagegen immer mal wieder unterdrücken. Meist die, die eine Art Gegenkultur anboten.
Das Wort superstitio, das wir mit Aberglaube übersetzen, bedeutet wohl grob "übertriebener, religiöser Eifer". Völlig egal in welche Richtung der geht. Wer also gelegentlich mal was im Tempel der Iuno opfert, der zeigt religio. Wer da jeden Tag hinjoggt macht superstitio.
Eine gute Übersicht der Riten im alten Rom. Da gab es auch schon einen schönen Quellenband für GURPS, der sich mit dem Thema beschäftigt (kann auch AD&D gewesen sein)
Mir stellt sich die Frage, warum diese Darstellung für den geneigten Weltenbauer hilfreich sein soll. Es ist einer von vielen Phantheons und eine reine "Zustands Betrachtung", welche nur so dahingestellt IMHO keinen Mehrwert für den Weltenbauer generiert.
Wenn man aus der guten Beschreibung etwas ziehen soll, würde es mich erfreuen, wenn du etwas dazu schreibst, was man für sich aus der Organisation in Rom ableiten kann.
Was mir besonders fehlt ist ein tieferes Eingehen über die Verbindung von Politik und Religion, wie sie in Rom üblich wahr (Inklusive der Übernahme von Göttern besiegter Völker in den eigenen Phantheon als politischen Trick zur Befriedung und der Einführung neuer Kulte durch die Mächtigen (Elagabal, dem zum einfacheren Annehmen einfach Attribute von Sol Invictus zugesprochen wurden, der auch ein Sonnengot war. ))
Das Thema Religion als Mittel zum Machterhalt ist eines der Prägenden in der Geschichte der echten Welt und kann sich auch prima auf Fantasy oder sonstige Welten übertragen lassen.
So ist es einfach eine nette Zusammenfassung, was in Rom war und wenig hilfreich für die Eigenentwicklun.
" Mir stellt sich die Frage, warum diese Darstellung für den geneigten Weltenbauer hilfreich sein soll. "
Ich wollt nur mal ein Beispiel geben, wie Staatsreligion auch funktionieren kann. Es gibt eben keinen Klerus (oder nur in beschränktem Maße), wie man das bei fast allen Rollenspielen kennt. Usw.
Du meinst um zu zeigen, wie man es anders machen kann?
Das finde ich in Adventures in the Known World (Artesia)recht gut.
Da kann jeder den Göttern opfern und dafür Magie absahnen.
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