Donnerstag, Juni 28, 2007

Weil du mien Bogen bist....

Moin!

Ich möchte heute einmal auf ein in vielen Rollenspielen vorkommendes Objekt zu sprechen kommen, das aber vielfach nicht für das benutzt wird, wozu es ursprünglich mal gedacht war. - Das Tschar-Schiet.

Und wozu waren Charakterbögen wohl ursprünglich gedacht? Um festzuhalten, welche mechanischen, relevanten Fähigkeiten meine Figur hat, wenn sie durch den Dungeon wackelt und Monster vertrimmt.

Nun ist es aber so, dass irgendwann Leute anfingen sich mit ihrer Figur jenseits ihrer Hackability zu identifizieren. Das machte das Rollenspiel mit Sicherheit interessanter und zu dem, was wir uns heute darunter vorstellen.

Dat gute Tschar-Schiet wurde in diesem Zug zu etwas völlig Neuem: Einer Vorstellungshilfe für die Beschaffenheit des Charakters. Einem Leitfaden dafür, welche Erzählungen und noch grundsätzlicher welche Vorstellungen über den Charakter möglich sind.

Leider ist es nun jedoch so, dass die meisten Charakterbögen immer noch nur irgenwelche mechanischen Fähigkeiten enthalten und die Funktion einen Vorstellungsleitfaden zu erstellen nun erst durch Modellierungsbeziehungen zwischen Mechanik und potentieller Fiktion vermittelt werden muss. Das aber kann nun schief gehen.

Das beste Beispiel für dieses Problem ist mien Rebeccas Nobilis. (Die mutigen Zocker, die mit mir das Spiel aufm :G:roßen probieren wollten, werden das bestätigen können.) Da werden nämlich nun Götter gespielt und durch vier Attribute beschrieben. Aspect, Domain, Realm und Spirit.

Darunter kann sich dann in der Tat nur der was vorstellen, der das Buch genau gelesen und die einzelnen Stufen für die Attribute memoriert hat. Und die ganzen grundsätzlichen Fähigkeiten, die man als Gott in diesem Spiel hat, werden schonmal überhaupt nicht abgebildet.

Bei Nobilis kommt dann noch dazu, das die vermeintlich mechanischen Werte eigentlich ziemlich weich und schwammig sind und man eigentlich ein freies Erzählspiel betreiben muss.

Das entspricht in extremerer Form eigentlich dem, was die Harcore-Gamisten solchen Spielen wie der WoD vorwerfen, nämlich dass die meisten Werte auf dem Bogen wegen ihres mechanischen Nicht-Eingebundenseins und durch den generellen Hang zum freien Ausspielen sinnlos seien.

Das wäre ausgehend von der ursprünglichen Funktion von Charakterbögen auch ein zwingender Einwand, aber für die betreffenden Spieler erfüllen diese "unnötigen" Werte eben eine ganz andere Funktion: Sie helfen ihnen sich ihren Charakter vorzustellen.

Einzig frage ich mich dabei, warum man diesen Umweg über die Mechanik geht und die die erzählerischen Elemente nicht gleich in der ihnen eigenen, erzählerischen Form belässt?

Ich kann mir nur vorstellen, dass diese mechanisierten Bilder auf das Blatt geschrieben übersichtlicher und in ihrer Ausarbeitung kanalisierter sind, als etwa eine frei geschriebene Charakterbeschreibung. Übersichtlicher weil die Charakterbeschreibung in gewisser Weise verschlagwortet ist und kanalisierter, weil die Aufforderung "Verteil mal 15 Punkte!" mit weniger Kreativität erfüllbar ist als "Mach mal ne Charakterbeschreibung!".

Ich möchte nun an Hand von Nobilis eine Variante vorstellen, die rein erzählerisch ist, aber die Vorteile der mechanisierten Vorstellungen beibehält. Die hab ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern sie findet sich in dieser Form etwa in My Life with Master. Es handelt um die Methode der Absoluten Aussage mit Einschränkung.

Wer das Verfahren von den More-than-Human-s und Less-than-Human-s aus MLwM nicht kennt, kann es jetzt gleich am Beispiel kennen lernen.

Nobilis
Die Nobiles aus Nobilis haben zuerst verschiedene grundsätzliche Fähigkeiten, die wir den Spielern erklären müssen. Dazu zählen:

  • Du kannst jede Sprache sprechen, außer der Sprache der Imperatoren (= Ober-Götter).
  • Du kannst an jedem Ort auf der Erde erscheinen, außer innerhalb des Baus einer Kreatur.

Die Einschränkung der ersten Fähigkeit habe ich selbst hinzugefügt, ebenso wie die zweite in ihrer Gesamtheit. (Es ist bei Nobilis nicht ganz klar geregelt, wie sich Charaktere über die Welt bewegen können.)

Was an dieser Form zudem die Freunde von klaren Regeln zufrieden stellen dürfte, ist, dass der Charaker nicht zu auslegbaren Handlungen wie "schnellem Fliegen" befähigt wird, sondern ganz konkret bestimmte Erzählmöglichkeiten gegeben werden, die nur unter klar umrissenen Umständen ausfallen.

Die Attribute von Nobilis könnte man wie folgt umsetzen:
  • Du kannst übermenschliche körperliche Leistungen vollbringen, außer...
  • Du weißt alles über deine Domäne (z.B. Krieg für den Gott des Krieges), außer...
  • Du kannst die Umgebung aller Dinge unter deiner Herrschaft wahrnehmen, sofern nicht...
Der Spieler soll natürlich die Fähigkeiten vervollständigen und kann sich auf diese Weise wie bei der mechanisierten Variante in kanalisierter Form ausdrücken.

Nobiles können zudem sog. Gaben besitzen, die zusätzlich, übernatürliche Fähigkeiten beschreiben. (Der Edle des Krieges könnte auch atemberaubend schön sein.) Diese würde ich als Variation der vorangegangenen Aussagen in der Form "Wenn... dann..." aufstellen lassen.

Ich denke das Prinzip ist klar. Sofern man trotzdem noch mechanische Elemente haben möchte, kann man diese nun völlig von den eben beschriebenen Vorstellungsschranken lösen und etwa ein Bietsystem, verdecktes Bietsystem oder einen einfachen Würfelmechanismus einführen.


Das wars auch schon.

5 Kommentare:

oliof hat gesagt…

Ich stimme zu, dass es in der Einbindung des Charakterbogens in das Spiel jenseits einer Werte- und Zustände-Sammlung durchaus noch Steigerungspotential gibt. Bei Puppetland z.B. werden Teile des Charakterbogens entfernt, wenn man Schaden nimmt (ja, mit einer Schere… schnipp, schnapp, Ärmel ab).

Inwiefern unterscheidet sich die Ausnahmenbildung von anderen kreativen Constraints (z.B. The Pool – beschreibe Deinen Charakter in genau 50 Worten)? Und: Was hat das mit dem Charakterbogen als physisches Artefakt zu tun?

Stefan / 1of3 hat gesagt…

Die Ausnahmen-Methode erhält den stichpunktartigen Charakter und damit auch gerade die Wirksamkeit des physischen Bogens als kodifizierte Referenzliste.

Bernhard hat gesagt…

Im beschriebenen Fall von "Nobilis" (ich gebe zu, dass ich es nicht kenne - es klingt aber reizvoll) hat ein solcher eher "poetischer" Ansatz meiner Ansicht nach durchaus seine Berechtigung. Schließlich ist das Einpferchen von Göttern und gottähnlichen Wesen in Zahlen und Werte eine alte Problematik - schon aus D&D-Zeiten. ("Mortality is having stats.")

Allerdings halte ich einen Charakterbogen (oder eben ein Tschar-Schiet) mit einer ganzen Reihe von Attributen durchaus für nützlich in den meisten Szenarien. Nicht, weil ich mir meine Charaktere nicht bis ins Detail auch ohne Charakterbogen vorstellen kann, sondern weil ein Wertesatz auf einem Charakterbogen als Schnittstelle zum Rest der Spielwelt dient.

Beschreibende Elemente ("50 Worte", "Likes & Dislikes", "Character Traits") sind sicher notwendig - aber sie reichen imho nicht für eine Vergleichbarkeit der Charaktere mit anderen Spielfiguren (SC/NSC) aus.

Absolute Eigenschaften, wie sie in dem Nobilis-Beispiel zur Anwendung kommen sind klasse - um Wesen mit absoluten Eigenschaften zu beschreiben. Sätze wie "kann besser stricken als Lieschen Müller, aber schlechter als Franz Meier", wie sie (natürlich überzeichnet) in einem "sterblichen" Charakter vorkommen müssten, sind doch eher wenig hilfreich. Die Zahl der zu referenzierenden Ausnahmen wäre wahrscheinlich unpassend hoch - außer man greift zu statistischen Mitteln. Über Aussagen wie "ist besser im Stricken als 70 % der Menschen, die stricken können" wäre es möglich wieder eine quantifizierende und vergleichbare statistische Aussage einzuführen - aber da finde ich die klassischen Fertigkeitswerte eleganter.

Im Prinzip ist es ja richtig, dass ein Charakterbogen als Krücke für den Spieler nicht notwendig sein sollte, aber aufgrund der "Konsenslücke" zwischen den einzelnen Spielern in einer Spielrunde halte ich ein mit ausreichend vielen Werten und verbal deskriptiven Elementen versehenes Tschar-Schiet für durchaus sinnvoll.

P.S.: Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mir die Idee mit der "Eingeschränkten Absolutheit" gerne ausleihen würde - für ein paar absolute Wesen in einer meiner Spielwelten... ;-)

Anonym hat gesagt…

Ich finde eigentlich beide Lösungen eher suboptimal. Einem rein deskriptiven Ansatz, egal wie kompakt man ihn hält, fehlt es immer an Übersicht (nicht, dass das bei Monstren wie dem DSA-Charakterbogen besser wäre...), einem rein tabellarischen Ansatz fehlen wichtige Elemente, auf die ich in den nicht-mechanischen Teilen des Spiels zurückgreifen möchte. Als ideale Spielhilfe würde ich am ehesten eine hybride Variante wählen, wie man sie zum Beispiel bei Dogs findet. Relativ freie Beschreibungen der Traits, die viel über den Charakter aussagen, und dennoch eine direkte Kopplung mit der eigentlichen Spielmechanik.

Stefan / 1of3 hat gesagt…

"Nicht, weil ich mir meine Charaktere nicht bis ins Detail auch ohne Charakterbogen vorstellen kann, sondern weil ein Wertesatz auf einem Charakterbogen als Schnittstelle zum Rest der Spielwelt dient."

Ja. Klar.

Aber das ist genau das, was ich hier nicht behandelt habe. Das ist das, was ich mache, wenn ich Zahlen habe.

Strategie, Taktik, Herausforderung, Gesellschaftsspiel. Es gibt aber Leute, die füllen Charakterbögen aus und wollen das, obwohl sie keine Strategie, keine Taktik, kein Gesellschaftsspiel wollen.