Lieber Leser,
was nun kommt ist ein Post, der mit gewissen Annahmen eines Teiles meiner Zielklientel aufräumen möchte. Du könntest zu diesem Teil zählen. Wenn du also weiterliest, halt dich bitte fest.
Zur Einführung, folgende Trivialität:
Rollenspiel und Design sind zwei Paar Schuhe
Dass lange Jahre Rollenspiel gespielt zu haben noch keinen guten Rollenspieler macht, dürfte den meisten bekannt sein. Ich für meinen Teil habe zumindest schon Spielerinnen und Spieler gesehen, die am ersten Tag ihrer Rollenspielkarriere bessere Beiträge geliefert haben, als gewisse, erfahrene Teilnehmer.
Noch offensichtlicher sollte es eigentlich sein, dass ein erfahrener Rollenspieler noch lange nicht fähig ist auch gute Rollenspiele zu schreiben. Wäre ja auch merkwürdig, denn dann wäre ich Bestseller-Autor. Schließlich lese ich seid meinem siebten Lebensjahr Bücher.
Welche Voraussetzungen muss ein Designer also mindestens erfüllen:
Lern Englisch!
Einige mögen es vielleicht nicht glauben, aber der Großteil der Rollenspiele erscheint in dieser Sprache. Und wenn ich dann höre, dass einige Leute bestimmte Dinge nicht lesen wollen, weil sie "nicht so gut Englisch" können, stehen dem Sheriff ganz ohne Schweinemaske die Haare zu Berge.
Ohne geht es leider nicht und tatsächlich sind die meisten Rollenspiele sogar einfacher zu lesen als etwa Romane. Wäre also ein guter Einstieg. Vielleicht reicht dein Schulenglisch nicht ganz aus, aber das ist völlig normal. Wenn man Dinge - insbesondere Sprachen - wirklich lernen will, muss man schon von sich aus an sich arbeiten.
Schau über deinen Tellerrand!
Es ist völlig OK, wenn du einen ganz bestimmten Spielstil hast und dich in diesem Stil ausdrücken möchtest. Aber wie eine Hamburger Band richtig sagt: "Wer Hiphop macht und nur Hiphop hört, betreibt Inzest."
Das ist auch logisch, denn wer keine breite Basis hat, kann die Besonderheiten seiner Wünsche und seiner Bedürfnisse gar nicht richtig einschätzen. Auf das Rollenspiel angewendet heißt das also: "Lies und spiele viele, möglichst verschiedene Rollenspiele!" Ich habe beispielsweise am letzten Freitag so ein ominöses Spiel namens "Iron Heroes" gespielt - und es war gut.
Wenn mir dann also jemand sagt, dass er sechs Rollenspiele kenne und das doch wohl ausreichend sei, um Rollenspiele zu schreiben, mag das stimmen. - Wenn die Spiele meinetwegen D&D, Ars Magica, Engel, Inspectres, The Pool und FATE sind oder Spiele, die vergleichbar viel gemeinsam haben. (Diese Spiele gibts übrigens auch alle in Deutsch. Du kannst sie also lesen, noch bevor du den ersten Ratschlag befolgst.)
Um mit der Grundlage ganz sicher zu gehen, würde ich allerdings doch eher eine deeeuuuutlich größere Zahl ansetzen.
Nimm an Diskussionen teil!
Diese Anforderung dürften die meisten hier wohl erfüllen, da der Name dieses Blogs wohl außerhalb von einschlägigen Internet-Foren nicht fällt. Du kannst dir nunmehr auf die Schulter klopfen.
Warum das wirklich wichtig ist, lässt sich etwa an einem bekannten, neuen, deutschen Fantasy-Rollenspiel erkennen, dass nicht nur viele gute Dinge, sondern auch Fehler aus anderen Spielen neu aufbereitet. Und zwar unter Anderem Fehler, die andere Spiele bei Editionswechseln schon ausgemerzt hatten. Sowas wäre bei einem hinreichend großen Gesprächskreis wohl aufgefallen.
Nebenbei stellen Gesprächspartner schon eine gewisse Basis an Interessenten dar.
Hinterfrage das Rollenspiel!
Das ist das, was ich hier in Ansätzen tue, und Leute, die diesen Blog lesen, haben da wohl auch schon eine gewisse Bereitschaft. Du darfst dir also schon wieder auf die Schulter klopfen. Zumindest in Ansätzen.
Warum ist sowas wichtig? Kann man nicht auch ohne ein interessantes Rollenspiel schreiben? Ja, aber das ist dann ein echter Glückstreffer. All zu oft gibts dann leider nur ein Exemplar der Kategorie, über die ich mich im Eintrag "Ganz viele neue Spiele" lustig gemacht habe. Du hast doch über diesen Eintrag nachgedacht, oder?
Wer noch nicht genau weiß, wie weit man diese Betrachtungen treiben kann, der mag nochmal auf rpgtheoryreview schauen, das ich nicht umsonst an der Seite verlinkt habe. Da gibts auch gelegentlich so kleine Rollenspiel-Koans, die für Leute, die das noch nicht so oft gemacht haben, vielleicht ganz interessant sind.
Du musst das schon üben!
Das ist eigentlich auch ganz klar. Die meisten Leute kommen aber irgendwann auf die Idee ein Rollenspiel zu schreiben und zwar den heiligen Gral ihres rollenspielerischen Daseins. Und wie das mit dem Gral so ist, kann man den lange suchen.
So finden sich im deutschssprachigen Netz einige Rollenspiele, die auch noch damit Werbung machen, dass jahrelang an ihnen herumgedoktort wurde. Wenn ich aber nie mit einem Spiel fertig geworden bin, kann ich auch nicht auf mein Tun zurückblicken, reflektieren und dadurch für das nächste Mal besser werden. Ganz davon abgesehen, dass mich die Entwicklung nach zwölf Jahren im Dunklen Kämmerchen wahrscheinlich schon überholt hat.
Wer also Rollenspiele schreiben will, sollte tunlichst davon lassen als erstes mit einem Spiel anzufangen, das ihm über alle Maßen am Herzen liegt. Deshalb sind diese Challenges, wo man in begrenzter Zeit mit total dämlichen Vorgaben ein Rollenspiel schreiben soll, auch so wertvoll. Da kann man mal so nebenbei ein Rollenspiel fertig schreiben und ein bischen üben. Deshalb ist der vorgabenfreie 24h-Wettbewerb im FERA auch nicht so gut. Da schreibt eben wieder jeder, was er will.
Wer jetzt Lust auf etwas Training bekommen hat, kann sich momentan beim Reverse Engineering Challenge auf story-games.com austoben.
Halte dich auf dem Laufenden!
Schrecklich, oder? Nicht nur, dass man das, was hier beschrieben ist, einmal machen muss, man muss sogar ständig dabei bleiben. Das könnte fast in Arbeit ausarten.
Soweit erstmal. Noch jemand mit mir? Schön. Also an die Arbeit...
Mittwoch, August 16, 2006
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4 Kommentare:
He he, wenn Dailor seinen Anti-Forge-Cartoon nicht schon wegen Fredi gemacht hätte, müsste ich ihm das hier mal mailen.
Schade ist in der Tat, wenn man ein Rollenspiel schreibt, indem man bloß die eine Sache, die man kennt, nachahmt und geringfügig verschlimmbessert. Man muss sich davon frei machen, dass die Dinge "so zu sein haben".
Ob man jetzt besser wird, je mehr Rollenspiele man liest? Ob man Englisch lernen muss, bevor man überhaupt anfangen kann, darüber nachzudenken, ein Rollenspiel zu schreiben (dass dann auch was taugt)? Das sind ja annähernd settembrinisch anmaßende Forderungen!
Inspiration kann man nicht erzwingen. Nachahmung kann man perfektionieren, indem man sein Repertoire an Vorlagen erweitert. Aber um wirklich was NEUES zu machen, braucht man genau eine Sache: eine Idee.
Ich denke Vermi hat da nicht ganz unrecht, dass es eine Idee braucht.
Aber ich denke auch dass man mit dem lesen von mehr unterschiedlichen Infos, leichter mehr erreichen kann.
Richtig. Es braucht eine künstlerische Vision. Und die sehe ich bei vielen einfach nicht klar.
Es ist natürlich richtig, dass man sich frei machen muss. Wenn du ein neues Projekt anfängst, vergiss erstmal alles, was du weißt und überleg dir, was du willst.
Und dann nimm nach und nach aus der großen Werkzeugkiste her, was du brauchst und pass es deiner Vision an.
Aber viele sind nicht willens oder nicht fähig ihre Idee darzulegen, sondern kommen an und fragen nach der Wahrscheinlichkeit in Pool-Systemen (wenn sie intelligente Fragen stellen) oder welche Attribute sie benutzen sollen (als überaus dämliches Beispiel).
Ich hab das natürlich früher auch alles gemacht, aber wie soll ich denn erklären, dass das nicht der Kern des Ganzen ist, wenn die Leute nur DSA und Shadowrun kennen?
Ja, das ist wahr. Andererseits sehe ich auf der Forge teilweise wieder andere Vorannahmen, die genauso fest in den Köpfen sitzen und genauso wenig rausgehen. Man muss sich doch nur mal die 19 Suggestivfragen durchlesen.
Die Vorannahmen sind immer das Problem. Aber ganz ohne Vorannahmen ist nur der, der noch nie ein Rollenspiel gesehen hat, und warum sollte der auf die Idee kommen, ein Rollenspiel zu schreiben?
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