Donnerstag, Mai 25, 2006

Skat, Bälle, Backbücher und GRWs

Zuerst veröffentlicht im Grofafo: http://grofafo.org/index.php/topic,23183


Die Frage, was eigentlich Rollenspiel ist, ist ja nicht ganz einfach und man kann da wirklich lange drüber diskutieren, aber das will ich hier eigentlich gar nicht bequatschen. Es geht nämlich um die ganz handfesten Sachen, die vielseitigen (1€ in die Wortspielkasse), mal mehr oder weniger gut ausschauenden Dinger im Schrank. Und von denen eigentlich auch nur um ganz bestimmte, nämlich diese "Grundregelwerke".

Die Frage ist, was tut so ein Werk eigentlich? Was kann es tun? Was soll es tun? Und um gleich mal provokant zu werden, warum tun sie so oft nicht das, was sie sollen?

Schauen wir uns doch erstmal den Namen an: "Grundregelwerk". Offenbar soll das Buch eine Art Grundlage bilden und dem Namen nach enthält es gewisse Regeln. Wenn man zu unseren Englisch sprechenden Kollegen schaut dann gibt’s da "core books". Die sind wohl auch zentral, aber die Regeln sind da nicht im Titel. Scheinbar sind diese Regeln aber zumindest irgendwie gemeint. Wenn ich Vampire: Requiem von Schreibwerkzeug&Mordgerät käuflich erwerben will, werde ich gewarnt: "Vorsicht, da sind die Regeln nicht drin. Du brauchst auch das blaue GRUNDREGELWERK." Da isses wieder. Und scheinbar kann man wohl Grundregelwerke nur mit Regeln und ohne viel anderes machen und das geht dann auch bei den Engländern als "core book" durch. Gurps macht das z.B. sehr eindrucksvoll vor und bei D&D ist das eigentlich auch nicht anders.

Nächster wichtiger Schritt ist also sich mal damit zu beschäftigen, was diese Regeln denn eigentlich tun. Zum Vergleich betrachte ich mal typische Gesellschaftsspiele wie Schach, Rommé oder Siedler von Catan an. Die haben eigentlich immer drei Phasen. Das sind erstens die Spielvorbereitung, dann der Spielablauf und natürlich das Spielziel. Eigentlich total einfach.

Bevor ich mich jetzt damit beschäftige, was Rollenspielregelwerke leisten, noch zwei kurze Beobachtungen:

1.) Rollenspiele werden selten so gespielt, wie sie im Buch stehen. Ob durch Unkenntnis oder bewusst es wird regelmäßig gehausregelt.

2.) Rollenspielgrundregelwerke versagen regelmäßig. Im Gegensatz zur Spielanleitung von Siedler von Catan, weiß ich, wenn ich ein Rollenspiel gelesen habe, noch nicht notwendigerweise, was ich damit tun soll. Das sieht man schon daran, dass es in einschlägigen Foren immer wieder Fragen gibt allà: "Ich hab jetzt das Buch gelesen und finds total super. Aber was für Abenteuer spielt man da jetzt eigentlich so?"

Bei Punkt (2) können wir wohl guten Gewissens davon ausgehen, dass das schlecht ist. Ambitionen, sich als Autor zu betätigen, gebieten es daher nach Gründen für solche Probleme zu suchen und ggf. Abhilfe zu schaffen. Punkt (1) scheint per se nicht schlecht zu sein, da er selten den Spielspaß senkt. Die Gründe für das Auftreten von Hausregeln bei Rollenspielen im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsspielen könnten aber trotzdem interessant sein.


Und genau mit diesen Hausregeln mach ich jetzt weiter, denn sie sind zum Verständnis des Gegenstandes Rollenspiel fundamental. Die einfachste Möglichkeit um festzustellen, warum Hausregeln bei anderen Gesellschaftsspielen selten auftreten, ist sich einfach eins herzunehmen, etwa Skat. Was wäre wohl, wenn die Punktwerte beim Reizen - definitiv ein wichtiger Teil des Spiels - anders wären? Abgesehen davon, dass einige Spieler das Spiel dann mehr oder weniger spannend finden würden, würden die Spieler vor allem anders reizen. Sie würden ihre Taktiken anpassen.

Es macht also wenig Sinn die Regeln beim Skat zu ändern. Verallgemeinert kann man sagen: Wenn ein fairer Wettkampf das alleinige Spielziel ist, ist jede faire Regel rational. Betrachtet man etwa Volleyball und Tischtennis, so wurden bei diesen Sportarten die Zählweise bzw. die Ballgröße vor allem verändert, um das Spiel für die Zuschauer interessanter zu machen und nicht für die Spieler. Die hatten da auch vorher Spaß dran.

Die Tatsache, dass im Rollenspiel gehausregelt wird, lässt dann darauf schließen, dass in entsprechenden Fällen fairer Wettkampf nicht die Hauptintention war. Eine gewisse Intention wird aber wohl da sein, sonst würde sich die Rollenspielerschaft nicht regelmäßig diese Mühe machen.


Nun zur Ratlosigkeit der neuen Spieler. Auch für diese lässt sich ein schöner Vergleich finden. Sie ähnelt in gewisser Weise der Ratlosigkeit, die manche Kinder haben, wenn sie mit ihrem Ball nichts anzufangen wissen. Klar, einige nehmen sich sofort den Ball und können damit stundenlang spielen, aber bei anderen klappt das irgendwie nicht so. Upps, mein Vergleich hinkt ja. Bälle sind gar keine Spiele, sondern Spielzeuge. Aber ich kann das Spielzeug Ball ganz schnell zu einem Ballspiel machen, einfach indem ich mir ein paar Regeln ausdenke, z.B. „Pritsch den Ball so oft hoch wie möglich.“.

Und jetzt die provokante These: Die meisten Rollenspiele sind keine Spiele, sondern Spielzeuge, was dann bedeuten muss, dass sie keine Regeln in dem Sinne haben, wie wir sie beim Schach, beim Tischtennis oder beim „Pritsch den Ball so oft hoch wie möglich!“ haben.

Die These ist gar nicht von der Hand zu weisen, da ich doch schon des öfteren gehört habe, dass Rollenspielregeln die „Physik der Spielwelt“ seien. Das entspräche dann wohl etwa, den Gesetzen der newtonschen Physik, denen mein Volleyball unterliegt. Das heißt nicht ganz, Rollenspiele wären dann Bälle, bei denen ich die Gesetze der newtonschen Physik beliebig hausregeln kann. Und das kann die Verwirrung zumindest nicht verkleinern.


Folgerung ist, dass man, um dem verwirrten Spieler aus seinem Dilemma zu helfen, dem Rollenspiel vielleicht gleich ein paar relevante Regeln einbauen sollte. Da bietet es sich natürlich an, auf Erprobtes zurückzugreifen, nämlich Regeln zur Spielvorbereitung, zum Spielablauf und ein Spielziel.

Tatsächlich sind bei genauerer Betrachtung Spielvorbereitung und Spielablauf nämlich häufig keineswegs vernünftig geregelt und ein Spielziel fehlt oft ganz. Die Spielvorbereitung hat meist einen ganz ausführlichen Teil, die Erschaffung der SCs, und hört damit auf. Was die Abenteuergestaltung angeht, beschränken sich viele Spiele darauf, anzumerken, dass man sich doch ein interessantes Thema suchen sollte (ohne zu sagen, wie man da rankommt). Der Spielablauf ist ähnlich detailliert beschrieben, wenn überhaupt.

Wünschenswert wäre also für beide Bereiche eine Art Checkliste, die ich abarbeiten kann. Und nein - bevor einige Leute Ausschlag kriegen - dafür muss man nicht mal in diese ominöse Indie-Ecke schauen. Star Trek von Decipher macht das z.B. sehr schön vor. Da findet sich nämlich im SL-Handbuch der Aufbau einer Star Trek-Folge mit fünf Teilen und drei Zwischenstücken, die der geneigte „Narrator“ abarbeiten kann. Wie wunderbar einfach und wie wunderbar Star Trek.

Ich weiß, jetzt kommen sofort die Einwände, dass das vielleicht für bestimmte Zwecke - etwa Star Trek - ganz gut sei, aber im Allgemeinen doch die kreative Freiheit einschränken würde. Wer mich kennt bzw. die Überschrift aufmerksam gelesen hat, weiß, dass ich noch einen in Hinterhand habe: Die Backbücher. (Kochbücher gingen auch, aber ich kann besser backen als kochen.)

Wenn ich erstmal backen kann, kann ich an dem Rezept, das drin steht, auch drehen. Vielleicht nehm ich lieber Pfirsich als Ananas. Aber ich würde mich doch sehr wundern, wenn das Rezept für Marzipankuchen so aussehen würde:

Zitat
Nehmen sie etwas Mehl und ein bisschen Backpulver, ein wenig Milch und Magarine und was Ihnen sonst noch so einfällt und schieben sie den gerührten Teig in den Ofen.

Leider sehen viele Rollenspielwerke grade so aus (und das Marzipan habe ich ganz bewusst nicht erwähnt). Ich würde damit vermutlich sogar einen essbaren Kuchen hinbekommen und sei es, dass es mein allseits beliebter Schokokuchen wird. Aber eigentlich wollte ich doch lernen, wie man Marzipankuchen macht. Rumspielen kann ich an dem Rezept später noch.


Also liebe Rollenspielautoren, macht doch eure Grundregelwerke mehr wie Kochbücher. Da ist vermutlich vielen mit geholfen und eigentlich keinem mit geschadet. Und seid euch des Weiteren gewiss, dass ich auch kein Verständnis dafür hätte, um herauszufinden wie lange der Kuchen jetzt in die Röhre muss, mir den Erweiterungsband „Marzipantorte im Ofen“ anzuschaffen.

Hab ich was vergessen? Ach, ja. Das Spielziel. Das kann einem Rollenspiel eigentlich auch nicht schaden, da es nämlich eigentlich bei allen Spielen die wichtigste Regel ist. Natürlich muss „Spielziel“ nicht „Spielende“ bedeuten. Ich kann meinen Volleyball ja auch so lange so oft hochpritschen wie ich Lust habe. Aber es empfiehlt sich schon, das auch irgendwie im Buch einzubauen. (Stichwort: Genuss des Marzipans.)



So und wer jetzt immer noch glaubt, dass Rollenspieltheorie total sinnfrei ist, kann sich zumindest mit mir darüber freuen, dass ich Ferien und daher Zeit habe, so lange Texte zu produzieren.

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